Donnerstag, 18. April 2024

Kommentar: Auf Treu und Glauben

Dr. Christof Beckmann, Redaktionsleiter KiP-NRW

Am Donnerstagabend geht sie zu Ende, die Vollversammlung der 66 katholischen Bischöfe in Fulda. Selten gab es so viel Medienecho, so viel Aufmerksamkeit für das Thema, das alles andere überlagerte: Die Vorstellung der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige“ – ein Kommentar.

„Aktuelle Fragen zur Flüchtlingsarbeit, Jugendsynode in Rom, Weltjugendtag in Panama, Glaubensverkündigung heute, Neuregelung der Organspende, ökologisches Wirtschaften in allen deutschen Bistümern, der Blick auf Populismus und Zustand der Demokratie – was immer sie auf der Tagesordnung noch in Fulda hatten: Das war keine turnusmäßige Routinesitzung unter strahlendem Himmel im barocken Glanz der Stadt von Bonifatius, dem „Apostel der Deutschen“. Sondern da brauten sich pechschwarze Gewitterwolken zusammen. Und sie wussten es, die Bischöfe, schon bevor sie dort eintrafen.

Der Blitz hatte schon vor mehr als acht Jahren eingeschlagen, als erste Veröffentlichungen aus der Kirche selbst kamen. Ein Sturm der Entrüstung, fassungslose und verschreckte Gläubige, Austrittswelle, wütende Kommentare, Priester, die sich nicht mehr aus dem Haus trauten: Wie groß ist der Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in der Katholischen Kirche wirklich? Die Bischöfe baten um Vergebung, erließen Richtlinien, verpflichtende Präventionsprogramme, versprachen „Null Toleranz“, Transparenz und mehr Kontrolle. Dazu sollte eine groß angelegte wissenschaftliche Studie beitragen, klären, zusammenfassen, Gründe und Hintergründe aufdecken, Handlungsempfehlungen geben. Gut die Hälfte mit Daten, die 70 Jahre und länger zurückreichen.

Alle 27 Bistümer verpflichteten sich vertraglich zur Mitarbeit, die drei beauftragten Uni-Institute nahmen sich mehr als 38.000 Personal- und Handakten vor. Das niederschmetternde Ergebnis jahrelanger Recherche: Bundesweit 1.670 beschuldigte Priester, fast 3.700 Opfer, so die detaillierte 360-seitige Studie - davon allein rund ein Viertel jeweils in den NRW-Bistümern. Insgesamt „nur die Spitze eines Eisbergs“ - mit hoher Dunkelziffer, wie die Forscher eigens betonten. Für kritische Beobachter schon ein Grund - unter anderen -, den vorgelegten Zahlen keinen großen Glauben zu schenken, gar die Unabhängigkeit der Forschung anzuzweifeln.

Die Wirklichkeit anschauen

Schon so ist es für die Opfer schlimm genug. Scham, Schmerz, dauerhafte psychische und körperliche Folgen begleiten sie ein Leben lang. Die Enttäuschung, keinen Gesprächspartner zu finden, nicht gehört zu werden, alleine damit fertig werden zu müssen, dass Täter nicht belangt und bestraft wurden, dass Wiedergutmachung  ausbleiben. Überall auf Ignoranz, Unverständnis, kein echtes Zeichen der Wertschätzung, sondern sogar auf offene Feindseligkeit zu treffen. Und das in der Kirche - in Gemeinden und Ordinariaten: Denn was nicht sein darf, kann nicht sein, so dachten – nicht nur hier - viele schon immer. Nicht bei uns - alles hängt doch an Treu und Glauben. Jedes Leben ist heilig, die Kirche ist heilig. Und sie bleibt es - mag der Sturm der Zeit noch so sehr die Segel des Kirchenschiffs fetzen. Einerseits.

Andererseits - die Wirklichkeit: Wegschauen, vertuschen, versetzen, vertrösten, verschweigen und verheimlichen. Doch jedes einzelne Opfer klagt an. Was ist da aus dem Ruder gelaufen? Kann man da überhaupt noch vertrauen, glauben, beten? Das setzte die äußerst ungewöhnliche Geste des Kölner Erzbischofs Kardinal Woelki ins Bild: Er sprach bei seiner Predigt am Mittwoch von Umkehr, Buße. Und brach seine kurze Ansprache ganz bewusst abrupt ab – für eine schreiende Stille, die sich am Bonifatiusgrab wie ein klirrender Eismantel ausbreitete.

Mut zur Demut und Entschiedenheit

„Ich bin Priester geworden, weil die Kirche für mich die Gemeinschaft von Gläubigen ist, die sich bemühen, Jesus Christus nachzufolgen“ – das schrieb heute der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker. Er könne die Betroffenen der Verbrechen nur um Verzeihung und Vergebung bitten, wandte er sich in einem Brief an alle Frauen und Männer im pastoralen Dienst seines Bistums, forderte die Mitwirkung aller - in „Demut und Entschiedenheit“.

Auch wenn es schwerfällt: Demut erfordert Mut! Denn weder das eine noch das andere ist als Tugend in unserer Zeit wirklich verbreitet, ebenso wenig wie der Wille, zu Entscheidungen zu stehen. Eine solche zeichenhafte Haltung einer „Kirche in der Nachfolge“ wäre aber umso wichtiger. Erst recht die Tat: In der Auswahl und Ausbildung der Seelsorger ebenso wie im Aufbau einer lebendigen geschwisterlichen Kirche, die um ihre Schwächen weiß, aber umso mehr auch um ihre besondere Verantwortung in der Sendung für alle, weltweit.

Sich ehrlich stellen, auch wenn man schwankt - gerade dann, wenn sich Abgründe auftun – das brachte Bonifatius, an dessen Märtyrergrab die deutschen Oberhirten bis Donnerstag tagen, schon vor mehr als einem Jahrtausend so auf den Punkt: „Wir wollen nicht stumme Hunde sein, nicht schweigende Knechte, die vor dem Wolf fliehen", erklärte der energische Missionar – und das gilt sicher nicht nur für die Bischöfe. Sondern für jede und jeden, der sich der Kirche verbunden fühlt. Damit Treu und Glauben eine Größe bleiben, an die man sich halten kann - bei jedem Wetter."

Christof Beckmann
Redaktionsleiter KiP-NRW

 

HINWEIS: Mehr Infos zum Thema „Kirche und Missbrauch“ in unseren Beiträgen in der Sendereihe „Augenblickmal“ am 25. September und am 28. September 2018.

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