Freitag, 26. April 2024

Kommentar: Nicht auf Sand gebaut

Dr. Christof Beckmann, Redaktionsleiter KiP-NRW

235 mutmaßliche Täter von 1945 bis 2019, 497 Betroffene. Und Ihr macht am Tag nach der Vorlage des Gutachtens zu Missbrauchstaten im Erzbistum München und Freising im Programm was über einen Lego-Dom? Haben wir – das katastrophale Versagen in anderen Bistümern inbegriffen – dazu gar nichts zu sagen? Doch. Weil wir den für Freitag geplanten Kirchenbeitrag schon produziert hatten, machen wir es aktuell nach der Vorstellung der Fälle und Tatvorwürfe hier. Lesen alles, was dazu zu lesen ist. Und greifen das am Samstag noch mal im Programm auf.

Das Haus Gottes

Nehmen wir jetzt einfach mal das von uns ursprünglich genommene Thema als Bild: Da baut jemand aus über 20.000 Steinen so einen großartigen Dom nach, hat Spaß am Tüfteln, will jeder Ecke des Riesengebäudes gerecht werden, legt sogar Strom und Beleuchtung und freut sich, dass er dem alten Bauplan gerecht geworden ist. So ungefähr ist er auch in Wirklichkeit, der Bau, als er ihn fertig hat, denkt er sich: Das Haus Gottes an einem Ort, an dem sich seit mehr als 1000 Jahren über Hunderttausende versammelt haben. Um zu beten, um ihre Sorgen loszuwerden, um neue Hoffnung zu schöpfen - über Jahrhunderte hinweg. Und was allein die existenziellen Alltagssorgen angeht, waren die im Vergleich mit unserem Leben heute echt kein Spaß. In seine Arbeit hatte der Baumeister von heute gut 1.000 Stunden Arbeit gesteckt und dabei sicher Gelegenheit genug, über das eigentliche Wesen dieses mächtigen Gotteshauses zu meditieren. Wofür es steht, warum es so gebaut ist, was es alles überstanden und was es den Menschen jeder Zeit bedeutet hat.

Und dann guckt man sich an, wie Kirche heute dasteht: Alles andere als stabil, alles andere als relevant, wie es scheint, auf jeden Fall alles andere als lebensdienlich, vertrauens- und glaubwürdig. Im Übrigen: Dass es auch früher schon nicht immer „mit rechten Dingen“ zugegangen ist – das ist klar, erforscht, bekannt, nicht mehr zu ändern und Teil der langen Geschichte, in der sich Menschen für die Kirche einsetzen, sie aber eben auch missbrauchen. Für ihre ureigenen Zwecke, für ihren Einfluss, für ihre Macht, die sie offen oder versteckt über andere ausüben - auch mit Gewalt und mit allen Methoden, zu denen der Mensch mit dem „Recht des Stärkeren“ fähig ist.

Das Fundament der Kirche

Doch sie haben nichts mit dem zu tun, wofür gerade die Kirche stehen sollte. Deren Botschaft ja geradezu ausdrücklich eine ganz andere ist, die seit ihrer Entstehung für eine andere „Welt-Anschauung“ wirbt. Die darum für ein Leben und ein Handeln eintritt, das aus einem völlig anderen Geist geprägt wird, den sie – vielleicht sogar schon deswegen - „heilig“ nennt. Und dabei weiß sie trotzdem sehr wohl um ihre großen Schwächen. Denn sie besteht in Wirklichkeit aus „lebendigen Steinen“. Sie tragen nur, wenn sie sich auf den „Eckstein“ beziehen, von dem seit Psalm 118 die Rede ist. Ob Matthäus, Markus, Lukas, die Apostelgeschichte oder der 1.Petrusbrief – sie alle sprechen von diesem Fundament. Und ohne das taugen die vermeintlich größten Bauleistungen nichts.

Einstürzende Altbauten?

Diese Statik muss wieder ins Lot. Ehrlich, ohne Kompromisse, ohne unheilige Angst und falsche Rücksichten, mit „Mut zur Demut und mit Entschiedenheit“, wie wir es hier auch früher kommentiert haben. Den vor allem dafür Verantwortlichen sei klar: Die eigene Schwäche, die eigene Schuld und das komplette Versagen von Apparaten zugeben – das mag schwer sein. Wenn aber das ursprüngliche Fundament nicht mehr erkennbar wäre, wäre das noch verheerender - nicht nur in der Kirche selbst. Überall würde das Beben nichts als Spuren der Verwüstung hinterlassen. Aber vor allem alle, die betroffen sind, die in besonderer Weise zu Opfern wurden: Vor allem Ihnen muss volle Gerechtigkeit widerfahren und vor allem Sie müssen ganz im Mittelpunkt stehen. Und zuletzt an alle, die nun ins Freie flüchten, weil sie Angst haben, dass ihnen nun der ganze Dom über dem Kopf zusammenstürzt: Die Kirche ist nicht auf Sand gebaut. Sonst wäre sie allemal schon längst komplett zusammengebrochen.

Dr. Christof Beckmann, Redaktionsleiter KiP-NRW

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